FELSENKIRCHE SANTA MARIA DEGLI ANGELI (VII - IX sec)
Die Felsenkirche Santa Maria degli Angeli, auch als Kirche des Sepulkralbereichs bekannt, verdankt ihren Namen den zahlreichen mittelalterlichen Gräbern, die sowohl im Inneren als auch im Außenbereich zu finden sind. Diese kleine Kirche, vollständig in die steile Felswand der Schlucht gehauen, hat eine Struktur mit drei Schiffen, die durch drei Pfeiler getrennt sind und jeweils in einer Apsis enden. Das Gesamtbild ist schlicht und karg: weder Bodenbelag noch Putz sind erhalten geblieben. Das Innere ist stark von der für Kalksteinhöhlen typischen Feuchtigkeit geprägt, die zur Zerstörung der ursprünglichen Fresken beigetragen hat. Dennoch sind noch eindrucksvolle Details zu erkennen, wie das Gesicht eines Heiligen oder einer Heiligen, hoch oben auf dem ersten Pfeiler links. Weitere Freskenreste, vermutlich aus dem 16. Jahrhundert, finden sich im rechten Schiff, zwischen dem Bereich des Presbyteriums und dem einzigen Grab auf der rechten Seite, und stellen einen gekreuzigten Christus dar.
Links vom Eingang befindet sich eine Zisterne sowie eine weitere Grube, die möglicherweise als Beinhaus diente, während entlang der Wände noch Spuren von in den Fels gehauenen Sitzbänken zu sehen sind. Das Presbyterium, leicht erhöht und von einer Ikonostase begrenzt, bewahrt in seiner Mitte den Sockel des Altars – ein in den Felsenkirchen der Gegend seltenes Element. Besonders bemerkenswert ist auch der Altar im zentralen Apsisbereich: Er wurde zur Austeilung der Eucharistie an die Gläubigen genutzt und entstand vermutlich zwischen dem 8. und 9. Jahrhundert. Damit ist er ein wertvolles Beispiel für sakrale Felsenarchitektur und ein bedeutendes Zeugnis historischer und künstlerischer Bedeutung. In der zentralen Apsis sind noch Reste eines Freskos zu sehen, das den segnenden Christus Pantokrator darstellt, während in der rechten Apsis Gravuren von drei griechischen Kreuzen zu erkennen sind, ein eindeutiger Hinweis auf den orthodoxen Kult, der in dieser Kirche einst praktiziert wurde.

Sie gehört zu den zahlreichen Felsenkirchen von Gravina, die vermutlich in der Zeit entstanden sind, als sich einige Basilianermönche in dieser Gegend niederließen. Auf den ersten Blick ist ihre byzantinische Prägung deutlich erkennbar; die Entstehung der Wandmalereien ist zwischen dem 13. und 14. Jahrhundert einzuordnen, wahrscheinlich von lokalen Handwerkern geschaffen. Es ist bekannt, dass die Byzantiner mit wechselndem Erfolg Apulien vom 6. Jahrhundert bis 1041 kontrollierten, als sie endgültig von den Normannen besiegt wurden. Doch auch danach blieb der byzantinische Einfluss in der Kunst bestehen, sowohl durch das Erbe der großen Kultur des Oströmischen Reiches als auch durch die Kreuzzüge.
Gegen Ende des 11. Jahrhunderts begann die lange Epoche der Kreuzzüge. Apulien wurde dank seiner Lage und seiner Häfen zu einem wichtigen Durchgangsort für Kunst und Waffen auf dem Weg ins Heilige Land und zurück.

Nach Bertaux wurde die basilianische Kunst in diesen Gebieten von orientalischen Mönchen geschaffen, die aus Syrien, Ägypten und Kappadokien stammten und während einer Migrationswelle zwischen dem 10. und 11. Jahrhundert nach Süditalien kamen (die erste Welle, so die Schätzungen, fand bereits im 9. Jahrhundert statt, ausgehend von Kalabrien und der Terra d’Otranto). Diese Mönche bewohnten und verzierten die Felsen des südöstlichen Süditaliens. Nachdem sie in Italien angekommen waren, zogen sie von der Terra d’Otranto nach Tarent, Matera und schließlich nach Gravina, wo sie Felswände mit bereits vorhandenen Zellen verschiedener Art vorfanden. Santa Maria degli Angeli war eines der Beispiele, in dem sich die Mönche niederließen, um ihre Malerei zu entfalten. Dabei griffen sie die Traditionen der Einsiedler aus Syrien und Kleinasien auf und passten sich den Bräuchen der von ihnen besiedelten Gebiete an. Über die Kultur, die vor der Ankunft der orientalischen Mönche bereits in den Felsen Apuliens existierte, ist nichts bekannt.